„Ich dachte, ich ersticke!“ Fünf Jahre ist das jetzt her, dass Karl, 62 Jahre alt, zum ersten Mal um Luft ringen musste. Wie immer, wenn er Zeit hatte, war er auch an diesem Tag mit dem Rennrad unterwegs. Nicht auszudenken,was hätte passieren können, wäre sein Freund Holger nicht bei ihm gewesen. Die Strecke war nicht anstrengender als sonst. Hügelig halt, aber schließlich wohnt er in Bad Tölz, direkt in den Alpen. Immer tiefer musste er einschnaufen
um Luft zu bekommen und immer enger schien sein Brustkorb dabei zu werden. Er röchelte heftig und sein Gesicht wurde knallrot vor Anstrengung. Es blieb keine Wahl, er musste in ein Krankenhaus. Mit dem Rettungswagen direkt in die Notaufnahme. dort stellten die Ärzte die erschütternde Diagnose: lebensbedrohliche Herzschwäche.
Es riecht nach Desinfektionsmittel. Der Gang ist lang und in neonfarbenes Licht getaucht. Es herrscht gedämpfte Betriebsamkeit. Weißkittel hetzen schnellen Schrittes vorüber. Ihre ernsten Mienen signalisieren: Hier geht es um Leben und Tod. Überall vor den Funktionsräumen des Transplantationszentrums sitzen Menschen. Patienten wie Karl. „Fast hat er mir die Hand zerdrückt, so fest hat er sie gehalten“, erzählt Maria, seine Frau. doch daran kann Karl sich nicht mehr erinnern. Zu oft hatte er hier schon gesessen. Und immer hatten die Ärzte und Ärztinnen ein weiteres Mittel oder eine neue Therapie für sein Herz parat. Doch dieses Gespräch sollte Karls Leben für immer verändern.
Ein neues Herz als Lebensretter
Als die Türe sich öffnet und er herein gebeten wird, zittern ihm die Knie. Der Herr Professor persönlich hatte zum Gespräch gebeten. Der Professor ist ein kleiner Mann, zierlich gebaut. Er spricht mit leiser, aber deutlicher Stimme. was er zu sagen hat, sagt er, ohne Umschweife. Ehrlich und dennoch einfühlsam. Alles habe man mit Karl unternommen, was machbar und sinnvoll war. Am Anfang sei ein Impulsgeber gelegt worden, der die Kontraktion des Herzens unterstützen sollte. Später habe man in einer großen Operation sogar sein Herz verkleinert. Habe alles nichts genützt. Die Fakten seien klar und unumstößlich: Die Lebenserwartung von Karl betrug weniger als ein Jahr. Eine Herztransplantation sei die einzige Möglichkeit Karls Leben zu retten.
Als Karl an diesem Abend zu Hause in Bad Tölz auf dem Sofa sitzt, hämmert ein Gedanke in seinem Kopf. ein fremdes Herz sollte sein eigenes ersetzen. Niemals! dem würde er niemals zustimmen. Das konnte er sich nicht vorstellen und das wollte er sich nicht vorstellen.
In den folgenden Monaten verschlechterte sich Karls Zustand zusehends. „Ich wollte nur noch einschlafen, dann wäre alles vorbei.“ Eine Herztransplantation lehnte er weiter ab. Also machte der Professor einen Deal mit Karl. Er setzte ihn auf die Warteliste und wenn ein passendes Organ gefunden wäre, könne Karl sich immer noch entscheiden. Karl bekam ein mobiles Telefon, um Tag und Nacht erreichbar zu sein. Spenderherzen sind rar. Die Bereitschaft Organe zu spenden nimmt in Deutschland seit Beginn der 90 Jahre ab. Dagegen ist die Anzahl der Neuanmeldungen für eine Herztransplantation, aufgrund der hohen Überlebensraten, auch nach mehreren Jahren, gestiegen. In Folge dieses Missverhältnisses verlängert sich die Wartezeit auf ein Spenderherz überproportional und immer mehr Patienten und Patientinnen auf der Warteliste versterben.
Mach es für mich und die Kinder
Nach nur sechs Wochen, der alles verändernde Anruf. Ein passendes Spenderherz ist verfügbar. Für die Entscheidung bleibt wenig Zeit. Maria fleht ihren Karl an. „Mach es für mich und die Kinder! Leb für uns weiter!“ Und von einer Sekunde zur nächsten sind alle Ängste wie weggefegt. Was zählt, ist überleben. Karl willigt ein.
Jetzt muss alles ganz schnelle gehen. Er wird per Hubschrauber in das Transplantationszentrum geflogen. Den Transport hat Europlant organisiert. In der Klinik wird Karl bereits erwartet. Alles ist vorbereitet, denn ein entnommenes Herz ist im Gegensatz zu anderen Organen nur wenige Stunden verwendbar. Binnen einer Stunde nach der stationären Aufnahme wird Karl in den Operationssaal 5 eingeschleust. Jetzt konzentrieren sich alles Schwestern und Ärzte auf den Transplantationspatienten. Karl hat Vorrang, solange bis er versorgt ist.
Karl wacht auf der Intensivstation auf. Er liegt in Box 14 und hört ein regelmäßiges Piepsen. Später hat ihm Schwester Katja die einzelnen Linien auf dem Überwachungsmonitor erklärt. Besonders interessiert war er am EKG. In gleichmäßigem Rhythmus zeichnet die Linie den Schlag seines Herzens nach, „wie das Alpenpanorama sieht das aus“, sagt Karl, „lauter Gipfel und Täler“. Die Operation ist sehr gut verlaufen erklärt der Professor bei der Visite. Karl weiß es. Endlich kann er wieder tief einatmen und ausatmen.
Ich würde es immer wieder machen
Es ist Karl anzusehen, dass er ein glücklicher Mann ist. Zwar muss er ein Leben lang Medikamente nehmen, welche die Abstoßungsreaktionen seines Körpers unterdrücken und er muss mehrmals jährlich zur Nachsorge gehen, aber Dank seines neuen Herzens kann er wieder alles machen: „sogar Rennrad fahren“, erzählt er mit strahlendem Gesicht. „Ich würde es immer wieder machen“, sagt er als er seine Geschichte beendet. „Für meine Frau und meine Kinder. Und auch für mich…“, und hat Tränen in den stahlblauen Augen.